Über die Entstehung von Institutionen und ihre Bedeutung für die Demokratie
Bereits seit 1969 wird der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften jedes Jahr am 10. Dezember verliehen. Diese allgemein als Wirtschaftsnobelpreis betitelte Auszeichnung wird in diesem Jahr somit zum 55. Mal vergeben.
Nur drei Frauen erhielten seit 1969 den Wirtschaftsnobelpreis
Bisher wurden die Forschungen von 96 Personen mit diesem Preis ausgezeichnet, nur drei waren Preisträgerinnen: Elinor Ostrom erhielt 2009 als erste Frau diese Auszeichnung für ihre Analyse ökonomischen Handelns im Bereich Gemeinschaftsgüter zusammen mit Oliver E. Williamson, der für seine Analyse ökonomischen Handelns im firmeninternen Bereich ausgezeichnet wurde. Zehn Jahre später bekam Esther Duflo gemeinsam mit Abhijit Banerjee und Michael Kremer den Wirtschaftsnobelpreis 2019 für ihren experimentellen Ansatz zur Bekämpfung der weltweiten Armut. 2023 ging dieser renommierte Preis an die Harvard-Professorin Claudia Goldin, die für die Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt ausgezeichnet wurde.
Ein Mal ging der Wirtschaftsnobelpreis nach Deutschland
Vor 30 Jahren ging der Preis zum bisher einzigen Mal nach Deutschland, als Reinhard Selten 1994 zusammen mit John Nash und John Harsanyi den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für die gemeinsamen Leistungen auf dem Gebiet der Spieltheorie erhielt.
Der aktuelle Wirtschaftsnobelpreis wird in diesem Jahr an Daron Acemoğlu, Simon Johnson sowie James A. Robinson verliehen, für ihre Studien über soziale Institutionen und deren Wirkung auf den Wohlstand.
Daron Acemoğlu (Illustration Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)James Alan Robinson (Illustration Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)
Simon Johnson (Illustration Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)
Laut der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften haben die drei Forscher gezeigt, dass eine Erklärung für Wohlstandsunterschiede zwischen Ländern in der Art der sozialen Institutionen liegt, die beispielsweise bei der Kolonialisierung der Länder eingeführt wurden. Acemoğlu, Johnson und Robinson haben dazu Gesellschaften betrachtet, die früher von Europäern kolonialisiert wurden und deren Institutionen sich durch die Kolonialisierung auf unterschiedliche Weise veränderten.
Theorie zur Ursache für Wohlstandsunterschiede
In der schon 2004 veröffentlichten Studie „Institutions as the Fundamental Cause of Long-Run Growth“ stellten die drei Ökonomen nicht nur die Theorie auf, dass die Ursache für die gravierenden Wohlstandsunterschiede zwischen den 20 Prozent reichsten Ländern und den ärmsten Ländern der Welt in politischen, kulturellen oder regionalen Rahmbedingungen liegen, sondern dass es auch darauf ankommt, ob die Institutionen inklusiv oder extraktiv im ökonomischen Sinne arbeiten.
Reversal of fortune (Illustration © Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences)
In einigen Teilen der Welt bestand demnach das Ziel der Kolonialisierung darin, die indigene Bevölkerung auszubeuten und natürliche Ressourcen zum eigenen Vorteil zu gewinnen. In anderen Fällen wurden integrative politische und wirtschaftliche Systeme zum langfristigen Nutzen europäischer Auswanderer gestaltet.
In Ländern, die zur Zeit der Kolonialisierung arm waren, wurden oft inklusive Institutionen eingeführt, die geteilte Macht und langfristige wirtschaftliche Chancen förderten, Wachstum begünstigten und schließlich zu einem breiten Wohlstand der gesamten Bevölkerung führten.
Im Gegensatz dazu waren Gesellschaften mit einer schwachen Rechtsstaatlichkeit und extraktiven Institutionen, die nur den herrschenden Elite und ihrem Machterhalt dienten und die Bevölkerung ausbeuteten, mit Stagnation und Ungleichheit konfrontiert.
Auswertung historischer Daten aus der Kolonialzeit
Die drei US-Forscher gingen für ihre Forschungen weit in der Geschichte zurück und werteten Daten aus der Kolonialzeit aus. Sie verwendeten unter anderem die Sterblichkeitsraten von Siedlern in der Zeit der Kolonialisierung und verglichen auch die ökonomischen Daten aus jener Zeit mit ökonomischen Kennziffern wie dem Bruttoinlandsprodukt dieser Staaten in den 1990er-Jahren. Dabei zeigte sich, dass Länder mit ausbeuterischen Institutionen früher oft reich und später arm waren bzw. wurden. Länder, die ursprünglich arm waren, aber rechtsstaatliche Institutionen schufen, eine Demokratie hatten und eine soziale Marktwirtschaft einführten, stiegen dagegen zu reichen Ländern auf.
Vielbeachtete Publikationen
Der Studie der drei Forscher folgten mehrere vielbeachtete Buchveröffentlichungen. So veröffentlichten Acemoğlu und Robinson 2006 das Buch Economic Origins of Dictatorship and Democracy. 2012 folgte Why Nations Fail, das sich sowohl in der englischen Originalfassung als auch in der deutschen Übersetzung Warum Nationen scheitern im Bestand der TIB befindet. Diese Werke beschäftigten sich mit dem Einfluss von politischen Systemen auf die Ökonomie und der Rolle von staatlichen Institutionen dabei. Sie bilden damit das theoretische Fundament der nun mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Theorie.
Gemeinsam mit Johnson veröffentlichte Acemoğlu 2023 Power and progress: our thousand-year struggle over technology and prosperity sowie mit Robinson 2019 Gleichgewicht der Macht: der ewige Kampf zwischen Staat und Gesellschaft.
Diese Titel sind allesamt im Bestand der TIB am Standort Conti-Campus zu finden und stehen dort teilweise in dem von meinen Kolleg:innen Helena Schugt und Lennart König gestalteten Themenregal zum Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften im Lesesaal im ersten Obergeschoss.
Weitere Werke der drei Ausgezeichneten sind ebenfalls in großer Zahl in unserem Bestand vorhanden, viele davon als elektronische Ausgaben. Mit den folgenden Links springen Sie direkt in die Trefferliste für den jeweiligen Forscher:
Daron Acemoglu, Simon Johnson, James A. Robinson
Viel Freude beim Stöbern!